Fotografie - Natur, Kultur und Geschichte
von Gruiten


Unterwegs – auf dem Weg nach Norden

  •  Vorbei an goldgelb leuchtenden Kornfeldern in der Abendsonne gelangen wir zu einem stillgelegten Kanal.


Vor wenigen Minuten haben wir die schwedisch norwegische Grenze überquert. Es ist bereits 17 Uhr und Zeit, eine Übernachtungsmöglichkeit zu suchen. Zum nächsten Campingplatz zu fahren und eine Hütte mieten, ist eine Möglichkeit – eine private Unterkunft wäre uns lieber. Das Schild hytta ledig (Hütte frei) am Straßenrand lässt nicht lange auf sich warten, wir überlegen nicht lange und halten an. In dieser ländlichen, vom Tourismus abseitsgelegenen Gegend ist die Auswahl an privaten Unterkünften eher gering. Das ältere Ehepaar vor dem Haus genießt die Nachmittagssonne und der freundliche Herr verweist uns auf unsere Frage nach einer Übernachtung auf das kleine, vor uns stehende Gebäude.

Der Preis unterscheidet sich nicht von einer Hütte auf dem Campingplatz, und die Gartenmöbel vor dem Haus sehen bei diesen angenehmen Temperaturen einladend aus. Wir finden alles vor: Küche, Wohnecke, Betten, Dusche und WC. Alles ist in Ordnung!
Wir bezahlen sofort und bringen die nötigen Sachen für die Übernachtung ins Haus. Bei der schon erwarteten Frage: „Woher kommt ihr und wohin fahrt ihr?“ kommen wir mit unserem Vermieter schnell ins Gespräch. Er erzählt Interessantes über diese Gegend und seinen Rat, uns doch bei einem Spaziergang umzusehen, befolgen wir nur zu gerne.

Vorbei an goldgelb leuchtenden Kornfeldern in der Abendsonne gelangen wir zu einem stillgelegten Kanal. „Das Boot am Ufer dürft ihr benutzen“, sagte unser Vermieter noch beim Abschied. Schnell erreichen wir den Wasserlauf. Weit ab touristischer Attraktionen Norwegens genießen wir die Stille. Auf der Wasseroberfläche ist kaum Bewegung zu erkennen. Eine Augenweide sind die blühenden Wildblumen am Gewässerrand. Einige kräftig gebündelte Sonnenstrahlen blinzeln durch das dichte Laub der Bäume und lassen das Grün der Seerosenblätter malerisch wirken. Libellen schwirren durch die Luft und in der Ferne ertönt der Ruf der Kraniche auf ihrer Suche nach einem Übernachtungsplatz. Ganz still sitzen wir da und lassen die schöpferische Kraft der Natur auf uns wirken.


  • Wir genießen die Stille und bewundern die Prachtlibellen. Die Gelbe Teichrose fühlt sich besonders in langsam fließenden oder stehenden Gewässern wohl. Gräser, Prachtlibelle und Knabenkraut leuchten in der Abendsonne.



  • Das Kongsfjordfjell. Die hellen Flanken des Gebirgszugs leuchten im Sonnenlicht.


Wir verlassen Røros in Richtung schwedische Grenze. Unser Ziel ist Nordnorwegen, die Varanger-Halbinsel mit dem Ort Berlevåg und die Nordkinn-Halbinsel mit dem nördlichsten Punkt des europäischen Festlands, Kinnarodden. Um die lange Fahrstrecke, zirka 1500 Kilometer, in aller Ruhe bewältigen zu können, fahren wir auf dem schwedischen Inlandsweg (E45) in Richtung Norden.
Drei Übernachtungen sind eingeplant. Anfangs ist das Gelände hügelig und dichte Wälder säumen die Straße. Der Autoverkehr ist mäßig. Nur in den meist kleineren Ortschaften, deren Namen man schnell vergisst, herrscht mehr Betrieb. Schilder mit der Aufschrift Stugo (Hütte), sehen wir häufig. Mit den Vermietern von privaten Hütten wird man schnell handelseinig und die Übernachtung ist gesichert.

Im mittleren Teil Schwedens leben weniger Menschen. Der Inlandsweg gehört uns jetzt fast alleine. Schnurgerade Straßen, und das monotone Fahren durch die eintönige Landschaft, ermüden (Bild 1). Die Regelung, während der Fahrt mit Abblendlicht zu fahren erweist sich hier als sehr nützlich. Entgegenkommende Fahrzeuge erkennt man so viele Kilometer im Voraus. Aber eine andere Gefahr lauert am Straßenrand: Rentiere, die hier ihr Futter suchen, sind durch das graubraune Fell erst sehr spät zu erkennen. Bei plötzlichem Wechsel der Tiere auf die andere Straßenseite besteht Unfallgefahr (Bild 2)

 


Am frühen Nachmittag wird es Zeit, eine Unterkunft zu suchen. Die Hinweisschilder Stugo ledig werden seltener, so dass es heißt: „Zugreifen“, sobald eine Hütte auftaucht. Heute finden wir eine ganz besondere Unterkunft. Ein etwas älterer hagerer Schwede begrüßt uns. Er führt uns vorbei an einem Hundezwinger mit Huskies zu einer ganz besonderen Hütte mit Museumscharakter. Auf den rotbraun gestrichenen Holzwänden hängen allerlei Gerätschaften (Bild 3). Kaum ein Platz ist frei. In der Hütte sieht es ebenso aus. Ein großes Bett, aus rohen Hölzern gezimmert, und ein alter Kühlschrank aus den Anfangszeiten der Kühltechnik fallen sofort ins Auge. Diese Hütte hat ihren ganz eigenen Charme. Wir mieten sie für eine Nacht, sind mit dem Preis zufrieden, der Besitzer auch. Dann geht er zu seinen Hunden und füttert sie.
Am nächsten Morgen queren wir den Polarkreis bei Jockmock. Leider hat das Café geschlossen. Es ist kalt und ungemütlich, also wieder hinein ins Auto und weiter geht die Fahrt. In der nächst größeren Ortschaft suchen wir zunächst eine Tankstelle. Vorsichtshalber füllen wir den Tank randvoll, denn das Tankstellennetz in dieser Gegend ist sehr dünn. Auf dem Weg zur finnischen Grenze wird die Landschaft immer karger (Bild 4). Die Straßenränder zieren kleine Birken, vom Wetter gegerbte Kiefern und schlanke, hochgewachsene Fichten. Sonst sehen wir nur sumpfiges Gelände, das im Westen in einer Hügelkette endet. Wir sind in der schwedischen Taiga. Bei Karesuando passieren wir die finnische Grenze (Bild 5).

Die Fahrt hat mehr Zeit gekostet als eingeplant, deshalb wird eine weitere Übernachtung notwendig. Ein Hotel mit zusätzlichem Hüttenangebot wird unser Nachtquartier. Am nächsten Morgen genießen wir das üppige Frühstücksbuffet und fahren gestärkt ein kurzes Stück durch Finnland. Was die Sprache angeht, befinden wir uns im Niemandsland. Die Hinweise auf den Straßenschildern sind reine Zungenbrecher. Man kann sie kaum aussprechen und erst recht nicht verstehen. Wir sind froh, nach kurzer Zeit die norwegische Grenze bei Kivilompole zu überqueren. 



In der Finnmarksvidda nehmen wir den Weg nach Kautokeino (Bild 6). Ein Teilziel ist erreicht. In Kautokeino leben ungefähr 1500 Menschen und der Ort ist Mittelpunkt der samischen Wirtschaft und Kultur. Im Kautokeino Bygdetun, (Kautokeino Museum), erfährt man viel über Tradition, Kultur und Wirtschaft. Wichtigster Erwerbszweig ist die Rentierhaltung. Der Bestand wird auf zirka 100.000 Tiere geschätzt. Für die Vermarktung von Rentierfleisch wurde im Zentrum der Stadt eine moderne Rentierschlachterei gebaut.
Die Finnmark ist der nördlichste und gleichzeitig auch der größte Landesteil Norwegens. Auf 48.000 Quadratkilometern leben nur zirka 76.000 Einwohner. Nackte Felsen, Seen und an den geschützten Stellen flache Birkenwälder prägen diese Landschaft. Die Temperaturen können im Winter auf Minus 50° Celsius fallen. In den Sommermonaten klettert das Thermometer auch schon einmal auf 30°Celsius. Von Mitte Mai bis Ende Juli scheint die Sonne Tag und Nacht.

Nach einer knappen Stunde Autofahrt erreichen wir die Straßengabelung Alta - Karasjok. Wir fahren nach Osten in Richtung Karasjok, einer lebendigen Stadt mit etwa 2600 Einwohnern. Im Sametinget, (Parlament der Samen), das hier ansässig ist, wird über Anliegen der samischen Bevölkerung abgestimmt.

Jedes Jahr zu Ostern findet hier påskefestivalen (das Osterfestival), statt. Zahlreiche Veranstaltungen wie zum Beispiel Musikdarbietungen, Aktivitäten für Kinder, Skirennen mit Rentieren (Skifahrer werden von Rentieren gezogen) oder eine Schneescooter-Rally ziehen Samen aus der ganzen Umgebung an. Während dieser Zeit hat man reichlich Gelegenheit, samische Trachten kennenzulernen. Eine andere Sehenswürdigkeit ist das Museum De Samske Samlinger (Samische Kultur und Geschichte). Auf anschauliche Weise erhält der Besucher Einblicke in Kultur und Tradition der Samen. 



Wir haben die Europastraße 6 erreicht, die wichtigste Verkehrsverbindung zwischen Oslo im Süden und Kirkenes im Nordosten. Unser Weg führt uns weiter in Richtung Norden, den Fluss Karasjokka immer an der Seite. Er mündet im längstem Fluss Finnmarks, der Tana (Bild 7). Mit seinen 360 Kilometern Länge bezeichnet man den Fluss als den besten Lachsfluss in Norwegen. Gleichzeitig markiert er auf einer Länge von 260 Kilometern die Grenze zwischen beiden Ländern. Am Flussufer der Tana erkennen wir hin und wieder kleine Ansammlungen von Häusern, sowohl auf der finnischen als auch auf der norwegischen Seite. Ein Teil der Bevölkerung ist hier ansässig. Die meisten sprechen norwegisch, finnisch und samisch. Die Tana mündet in den Tanafjord.

Die Entfernung Karasjok – Tana Bru beträgt 183 Kilometer. Nur die Europastraße 6 verbindet diese beiden Orte auf der norwegischen Seite miteinander. Die Straße ist fast verkehrsfrei. Nur zwanzig Fahrzeuge sind uns auf der Fahrt nach Tana Bru entgegen gekommen – wir haben sie gezählt. Die einzige Verbindung nach Finnland auf diesem Teilstück der E6 ist eine moderne Brücke über die Tana, die einen Zugang nach Utsoki auf der finnischen Seite ermöglicht (Bild 8). Eine Grenzstation, ein Supermarkt, in dem die Norweger gerne einkaufen, ein Hotel und ein paar Wohnhäuser, viel mehr findet man hier nicht.

Es ist wieder spät geworden, erneut machen wir uns auf die Suche nach einer Unterkunft für die Nacht. Nur wenige Kilometer weiter erscheint das erwartete Schild hytta ledig am Straßenrand. In dieser fast menschenleeren Gegend kann man solch ein Angebot nicht ausschlagen. Die Hütte, auf einem kleinen Bauernhof gelegen, gefällt uns sofort. Nach einer guten Tasse Kaffee brechen wir auf die Umgebung zu erkunden. Ein Weg führt durch grüne, saftige Wiesen zum Ufer der Tana. Jetzt genießen wir die Abendstimmung am Fluss, der uns den ganzen Tag begleitet hat (Bilder 9 und 10)

  • Kurze Pause vor der Hütte. Danach genießen wir die Abendstimmung am Ufer der Tana.
  • Eines der typischen Boote, die auf dem Fluss benutzt werden.


Am nächsten Morgen verabschieden wir uns mit einem anregenden Plausch von den Wirtsleuten. Wir fragen, ob die Grenze zwischen Norwegen und Finnland für die Kontakte der Samen untereinander störend ist. Die Antwort kommt prompt und lautet: „Die Grenze existiert für uns nur auf dem Papier, nicht aber in unseren Köpfen. Wir Samen sind ein Volk!“

Weiter geht die Fahrt nach Tana Bru. Hier verlassen wir die Europastraße 6, die nach 135 Kilometer in Kirkenes endet, und fahren auf der Provinzstraße 186 weiter nach Berlevåg.

Die Tana wird hier immer breiter und fließt bei geringem Wasserstand träge dahin. Breite Sandbänke säumen den Uferbereich. In der Ferne sind die ersten Erhebungen des Tanafjells mit Höhen bis zu 670 Meter zu sehen. Hier endet unsere Fahrt am Fluss und der Tanafjord beginnt.



Wir fahren leicht bergauf und erreichen bald eine Hochebene. Die Landschaft hat sich dramatisch verändert. Die Bäume sind plötzlich verschwunden und nur noch bodennahe Sträucher wachsen in grasbewachsenen Mulden. Nördlich erhebt sich das Kongsfjordfjell. Die hellen Flanken des Gebirgszugs leuchten im Sonnenlicht. Rentiere kreuzen unseren Weg und sind schnell hinter dem nächsten Hügel verschwunden (Bild 11). Die Landschaft wird immer karger. Kurz darauf erreichen wir bei Gednje die letzte Kreuzung. Die Straße teilt sich und die 891 führt zum Fischereihafen Båtsfjord. Wir bleiben auf der 890 und es geht leicht bergab in Richtung Kongsfjord. Hinter dem kleinen Fischerort beginnt der beeindruckensde Abschnitt unserer Reise in den Norden. Wir haben Ishavsvegen, die Eismeerstraße, erreicht.

Ein lang gehegter Traum geht in Erfüllung. Im Westen erhebt sich eine zerklüftete Felslandschaft und im Osten haben wir einen freien Blick auf die unendlich scheinende Barentssee. Hinter jeder Straßenbiegung warten neue Überraschungen. Sandfjord gehört dazu (Bild 12). Durch Wellen und Wind ist  feiner Sand entstanden, der sich in der Bucht abgelagert hat. Ein idealer Badeplatz – ja, wenn das Wasser und die Luft etwas wärmer wären. Einige Kilometer weiter erkennen wir rechts von uns direkt am Meer den Leuchtturm Kjølnes fyr. Der Turm gleicht einer Festung, um den gewaltigen Meereskräften zu widerstehen. Dann taucht in der Ferne Berlevåg auf. Wir haben unser erstes Ziel nach einer mehrtägigen Fahrt erreicht.


  • Auf der nördlichen Straßenseite erhebt sich das Kongsfjordfjell. Seine hellen Flanken leuchten im Sonnenlicht.


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Copyright Text und Fotos E. u. P. Westerwalbesloh

 
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